Die Baclofen Saga Teil 4: Die Servilität des "Quotidien du Médecin"

 Die Anhörung durch die Kommission war für die wichtigsten Vertreter dieser Presse sehr unangenehm und sie erschienen, alles andere als überzeugend. Als man etwa den Generaldirektor des Quotidien du Médecin fragte, weshalb seine Zeitschrift kein Wort über das Buch von Irène Frachon zum Médiator-Skandal verloren habe, antwortete er sehr elegant, dass er nicht „in Lokalnachrichten mache“. Die nationale Journalistengewerkschaft SNJ hatte daraufhin in einem Communiqé vom 13. April 2011 (http://www.snj.fr/spip.php?article3860 ) die unethischen Praktiken, einer sich den wirtschaftlichen Interessen unterordnenden Presse angeprangert. Die SNJ rief «die Gesamtheit der Redaktionen der Medizinpresse in dieser Vertrauenskrise der Leser, gegenüber ihren Zeitschriften und der Öffentlichkeit, gegenüber der Pharmaindustrie, zu einem heilsamen berufsethischen Hochschrecken auf.» Leider fand kein solches Aufschrecken statt. Nichts hat sich geändert!

 

Tatsächlich griff der Quotidien du Médecin in seiner Ausgabe vom 29. Mai 2012, unter der Feder von Monsieur „Lokalnachrichten“, seines Chefredakteurs, mit dem Artikel «Wunder im off-label-use?» mit diesen Worten in die Debatte um Baclofen ein:

 

«Der Nouvel Observateur brachte es auf dem Titelblatt der letzten Ausgabe: «Man hat ein Heilmittel gegen den Alkoholismus gefunden!» 

 

Ach ja? Sie wissen bereits, dass Anfang 2012 das neue Medikament Nalmefen auf den Markt kommen könnte, das gemäss drei kontrollierten Studien der Phase III, in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit, wirksam und gut verträglich zu sein scheint? Nicht im geringsten! Es handelt sich um Baclofen, dessen breite off-label-Anwendung von enthusiastischen Befürwortern gepusht wird, ohne Vorliegen kontrollierter Studien in dieser Indikation und trotz ernsthaften Zweifeln auf breiter Front an der Verträglichkeit dieses Wirkstoffs.

 

Der von den Massenmedien ausgelöste Druck zur Verschreibung, den sich unsere Behörden gefallen lassen, nimmt erstaunliche Ausmasse an, wenn man bedenkt, wie prompt dieselben bereit waren, den Skandal der off-label-Verschreibung von Mediator anzuprangern. 

 

Stellt nicht Übergewicht einen ebenso ernsthaften Risikofaktor dar wie Alkoholismus? Sollten nicht, wie hoch und heilig versprochen, keine off-label-Produkte mehr verwendet werden dürfen, ohne seriöse Beweise der Verträglichkeit und Unbedenklichkeit, erbracht unter strengen Rahmenbedingungen? Wird zweierlei Mass angelegt? Im einen Fall verurteilt, ohne beurteilt zu haben; im andern entschieden, ohne zu wissen?

 

Gibt es denn keine Warnrufer mehr?

 

Wer wird verurteilt, wenn es zu schweren Vorfällen kommt, ja sogar zu Todesfällen?

 

Der Quotidien auf jeden Fall lanciert ihn, den Warnruf! 

 

Kein Wunder also, dass die Zeitschrift Werbung für Lundbeck und sein Medikament Nalmefen macht, das neu auf den Markt kommen soll. Dass sie die Befürworter von Baclofen, einzuschüchtern versucht und sich als Warnrufer gebärdet. Gleichzeitig Propaganda für das Unternehmen zu machen, das die Zeitschrift finanziert, hat es in sich. In erster Linie aber beinhaltet beinahe jeder Satz dieses Textes, eine Unwahrheit und es ist unerlässlich, einige Fakten richtig zu stellen.

 

Kann die abgedroschene Formel «wirksam und gut verträglich», die für jedes neue Medikament verwendet wird, wirklich gelten für Nalmefen? In Wirklichkeit ist es eine mässig wirksame Behandlung, die die Reduktion des Alkoholkonsums nur in bescheidenem Umfang ermöglicht; laut doppelblinden Studien gegenüber Placebo im Schnitt um ein Glas. Der erste Zulassungsantrag für Nalmefen wurde aufgrund seiner schwachen Wirksamkeit und der methodologischen Probleme, die sich für seine Eintragung stellten, nicht bewilligt. Behandelt Nalmefen die Alkoholabhängigkeit? Sicherlich nicht. Es ist eine Art Kopie des bereits seit langem vermarkteten Produkts Naltrexon, das seinerseits nur mässig wirksam ist. Es handelt sich nicht um einen therapeutischen Fortschritt, im Gegensatz zu Baclofen, das selbst in keiner Weise Gegenstand der Förderung durch die pharmazeutische Industrie ist.

 

Der CEO des Quotidien du Médecin vergisst zu erwähnen, dass ausreichende Daten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit von Baclofen die Behörden veranlassten, grünes Licht für den Einsatz von Baclofen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit zu geben (s. Point d’information der nationalen Behörde für Medikamentensicherheit ANSM vom 24.04.2012: http://ansm.sante.fr/S-informer/Points-d-information-Points-d-information/Utilisation-du-baclofene-dans-le-traitement-de-l-alcoolo-dependance-Point-d-information-actualisation-juin-2012). Wenn es sich auch nicht um eine ordnungsgemässe Zulassungsverfügung handelt, erklärt die ANSM auch, dass die Ergebnisse bezüglich Medikamentensicherheit ermutigend sind, dass Baclofen bisher kein Todesfall zugeschrieben wurde und dass selbst im Fall einer Überdosierung, Baclofen keine Gefahr darstellt.

 

Der Quotidien du Médecin folgert in seiner seltsamen Argumentation, dass man Baclofen nicht verschreiben sollte, weil man Todesfälle riskiere, obwohl es keine gibt und zieht eine Parallele zum Médiator-Skandal. Wenn es denn eine Parallele gibt, so liegt sie in der beharrlichen Servilität dieses Presseerzeugnisses gegenüber denjenigen, die ihm Erträge garantieren.

 

Und zu guter Letzt die gewagte Behauptung, es gäbe keine seriösen Beweise der Wirksamkeit von Baclofen. Sicherlich liegt die Evidenz der Beweise nicht auf demselben Niveau wie doppelblinde, placebokontrollierte Studien. Die erste dieser Studien wurde gerade in Gang gesetzt, nach langem Zaudern der französischen Gesundheitsbürokratie. Das tiefere, aber nichtsdestotrotz akzeptable Beweisniveau basiert hauptsächlich auf einer Kohortenstudie über 181 Patienten, die ein Jahr begleitet wurden (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22434664). Sie weist eine Quote von 58 % Abstinenz oder moderatem Konsum nach einem Jahr aus, selbst wenn die aus den Augen verlorenen Patienten als Behandlungsversagen gewertet werden. Wie alle Patienten bezeugen, ist diese Behandlung bei weitem wirksamer als alles, was bislang in der Therapie der Alkoholabhängigkeit zur Verfügung stand. Die Behörden haben die Bedeutung von Baclofen als Hilfe für die Abhängigen erkannt und aus diesem Grund seine Anwendung ermöglicht. Wer dies zu verhindern sucht, verfolgt andere Interessen als das Wohl der Kranken.

Mit freundlicher Genehmigung von Bernard Granger.

 

 

Das Original in französischer Sprache finden Sie hier: http://www.books.fr/blog/la-saga-du-baclofne-4-le-vent-tourne/

 

Kommentar verfassen