Baclofen-Saga Teil 2 von Bernard Granger

 und den Bürokratismus des Gesundheitswesens in unserem Land zurückzuführen ist.

 

Hinzu kommt, dass Baclofen zu einem Zeitpunkt auftaucht, da andere Produkte mit der gleichen Indikation entwickelt werden. Da die Entwicklung eines neuen Medikaments mehrere hundert Millionen Euro kostet, ist Baclofen den Firmen dieser Konkurrenzprodukte ein Dorn im Auge. Es droht ihre Hoffnungen und den Return of Investment zu schmälern.

 

Professor Olivier Ameisen, der entdeckt hat, dass hohe Dosen von Baclofen das unwiderstehliche Verlagen nach Alkohol (Craving) unterdrückt, und eine Gleichgültigkeit diesem gegenüber bewirkt, gehört nicht zum Zirkel der Suchtmediziner. Er ist französischer Kardiologe, ausgewandert in die Vereinigten Staaten und er ist vor allem selbst von Alkohol abhängig. Alles beruht auf dem Report seines Selbstversuchs, der seit Dezember 2004 auf der Internetseite der Wissenschaftszeitschrift „Alcohol and Alcoholism“ und in der Ausgabe März-April 2005 unter dem Titel «Complete and prolonged suppression of symptoms and consequences of alcohol-dependence using high-dose baclofen: a self-case report of a physician» publiziert wurde. Die Beweisführung basiert auf drei Punkten: (1) Studien zu Tagesdosierungen von 30 mg zeigten eine Wirkung auf die Reduktion des Alkoholkonsums und das Craving bei abhängigen Patienten; (2) ein Tierversuch zeigte einen dosisabhängigen Effekt auf das Alkoholverlangen bei proportional zehnfach höheren als den zuvor bei Menschen für diese Indikation verabreichten Dosierungen; (3) Neurologen verwenden mitunter bei Patienten mit multipler Sklerose hohe Dosierungen bis zu 300 mg pro Tag, ohne besondere Toxizität. Ameisen hatte sich vorgenommen, den Tierversuch auf den Menschen zu übertragen, im Wissen darum, dass auch hohe Dosen von Baclofen verträglich sind. Er machte den Selbstversuch, der perfekt gelang. Das Craving verringerte sich nicht nur, sondern es verschwand, und es trat eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Alkohol ein. Ausserdem unterstreicht Ameisen in seiner bahnbrechenden Veröffentlichung (http://alcalc.oxfordjournals.org/content/40/2/147.full.pdf+html) die angstlösenden Wirkungen von Baclofen und das Wohlbefinden, das es verschafft. Er beginnt die Diskussion seines Fallbeispiels mit den Worten: „Ich habe keine Kenntnis von Berichten über medizinische Behandlungen, welche die totale Unterdrückung des Cravings oder der anderen Symptome und Folgen der Alkoholabhängigkeit bewirken, weder von den Anonymen Alkoholikern, noch von Kognitiver Verhaltenstherapie, von Suchtkliniken oder aus der medizinischen Fachliteratur. Ich beschreibe hier, wie es mir gelang, durch die Anwendung hoher Baclofen-Dosen innerhalb neun Monaten, alle Anzeichen und Folgen der Alkoholabhängigkeit komplett zu unterdrücken und parallel die begleitende therapieresistente Angststörung unter Kontrolle zu bringen.“

 

Angesichts des mageren Echos auf seine Publikation beschloss Ameisen, mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen: sein Buch „Le Dernier Verre“ (Denoël) erschien 2008. Bereits zuvor hatte sich ihm mit Dr. Renaud de Beaurepaire ein anderer „Outsider“ angeschlossen, auch er weder Suchtexperte noch Suchtforscher. Als leitender Arzt im Hôpital Paul-Guiraud von Villejuif hatte er eine grössere Zahl von Patienten behandelt und mit Ameisen zusammen, in den hochangesehenen „Annales médico-psychologiques“ darüber publiziert: die erste Studie (http://www.baclofene.org/wp-content/uploads/2011/05/Suppressiondeladependance.pdf) zur Wirksamkeit von Baclofen in hoher Dosierung über eine grössere Reihe von Patienten. Die Autoren führen in ihrer offenen Studie mit 60 Patienten, die über mindestens drei Monate begleitet wurden, 88 % gute Ergebnisse (Abstinenz oder moderater Konsum) auf.

 

Ein weiterer aussergewöhnlicher Arzt interessierte sich nach Erscheinen von Ameisen’s Buch für Baclofen: Dr. Jaury, Professor für Allgemeinmedizin an Université René Descartes. Seit 1976 in eigener Praxis tätig, war er einer der Pioniere der Substitutionstherapie bei Heroinabhängigen, Ende der 80er Jahre, als diese Praxis noch verboten war und ihm einbrachte, als „Dealer“ beschimpft zu werden. Mit drei weiteren Ärzten gründeten Beaurepaire und Jaury ein erstes Netzwerk, dem nach und nach andere Baclofen-Befürworter beitraten.

 

Zwei Vereinigungen, Aubes http://www.forum-baclofene.fr (gegründet Januar 2010) und Baclofène http://www.baclofene.com  (gegründet Mai 2011), folgten dem Konzept von „médecine 2.0“, welches Dr. Dominique Dupagne mit Herzblut lanciert hatte: die Verbindung zwischen verschreibenden Ärzten und Patienten durch eine Webseite sicherzustellen. Der Internetbesucher findet auf diesen beiden Seiten leicht zugängliche Informationen und Erfahrungsberichte. Hier findet sich in der Geschichte der beiden Vereinigungen auch die einzige, typische Episode dieser Saga: Sie stehen in Konflikt miteinander, die zweite aus ersterer hervorgegangen und abgespalten – ein durchaus übliches Schicksal solcher Vereinigungen.

Mit freundlicher Genehmigung von Bernard Granger.

Das Original in französischer Sprache finden Sie hier: http://www.books.fr/blog/la-saga-du-baclofne-2/ 

 

0 Kommentare zu “Baclofen-Saga Teil 2 von Bernard Granger

  1. In Deutschland gehen die Uhren ein wenig anders. Baclofen darf schließlich nur im „off-label-use“ verschrieben werden. Ein anderes Produkt steht in den Startlöchern und wird voraussichtlich in 2014 die Deutsche Zulassung erhalten. Beworben wird es seit 2013 mit dem Slogan: Nicht mehr trinken. Sondern weniger. Es funktioniert im sogenannten „as needed“ Gebrauch, soll heißen man nimmt es bei Bedarf, 1 bis zwei Stunden vor einem zu erwarteten Trinkereignis, jedoch höchstens 1mal täglich. Das Alkoholreduktions-Medikament soll nach Studien bis zu 60% weniger trinken ermöglichen. Selincro (Nalmefen), ist ein Medikament der dänischen Pharmafirma Lundbeck.

  2. Warum sollte das, was in Frankreich abläuft, nicht auch bei uns möglich sein ? Baclofen reduziert nachweislich das Verlangen nach Alkohol und verhilft zu einer zufriedenen Abstinenz. Manche schaffen es auch „nur“, deutlich weniger zu trinken. Aber auch das ist doch schon ein deutlicher Fortschritt. Ich kann die Mediziner und Suchttherapeuten, die eine medikamentöse Behandlung der Alkoholkrankheit strikt ablehnen, wirklich nicht verstehen. Lehrbuchwissen hat ein beschränktes Haltbarkeitsdatum. Ein Paradigmenwandel ist angesagt. http://www.paradigmenwandel.org

    Werner

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