Die Baclofen Saga Teil 3: Der Wind dreht


Hinsicht auf Wirksamkeit und Risiken: «Der Nutzen von Baclofen bei Alkoholabhängigkeit ist zum heutigen Zeitpunkt nicht erwiesen und es sind nur beschränkte Daten zur Anwendungssicherheit in dieser Indikation vorhanden, zumal die Dosierungsempfehlungen oft überschritten werden. » Diese Warnung hielt viele Ärzte davon ab, Baclofen zu verschreiben, während die Baclofen-Gegner, deren führende Köpfe paradoxerweise hauptsächlich aus der Suchtforschung stammen, sie als Fahne zur Rechtfertigung gegen die Verschreibung schwenkten.

Von Juni 2011 an wandte ich mich schriftlich an den Vorsitzenden der Afssaps (mit Kopie ans Büro des Gesundheitsministeriums) und protestierte gegen diese Warnung, die mir nicht den wissenschaftlich belegten Daten zu entsprechen schien. Darüber hinaus war sie im Anschluss an eine Versammlung von „Experten“ ausgesprochen worden, unter ihnen gewisse Mitglieder mit Interessenverbindungen zu Entwicklern und Herstellern von Konkurrenzprodukten, deren Wirksamkeit vergleichsweise gering ist (Acamprosat, Naltrexon, Nalmefen). In einer Antwort auf meine erste Intervention, die nie veröffentlicht wurde, hatte die Afssaps sich zum einen dafür eingesetzt, eine Kohortenstudie zu ermöglichen, und zum anderen die Absicht geäussert, die Interessenkonflikte der Experten durch die Standesrechtliche Kommission der Behörde zu klären. Keiner der beiden Punkte wurde weiterverfolgt.

Ich schrieb am 21. September an Professor Philippe Lechat, der bei Afssaps für das Dossier zuständig war, mit Kopie an Professor Dominique Maraninchi, Vorsitzender der Afssaps, und an das Büro des Gesundheitsministers. Zuvor liess ich, wie verlangt, erst die Sommerferien verstreichen. Am 28. September 2011 antwortete mir Professor Philippe Lechat, man müsse „das Ende der parlamentarischen Debatte über das neue Gesetz abwarten, welche zur Zeit in der Nationalversammlung stattfindet“. Am 19. Dezember erfolgte die Abstimmung zum neuen Gesetz zur Förderung der Medikamentensicherheit. Vergeblich auf eine Antwort wartend, schrieb ich am 18. Januar und am 2. März 2012 erneut. Die Antwort von Professor Lechat vom 23. März bestand aus allseits bekannten Informationen, auf die von mir gestellte Forderung nach Überarbeitung der Warnung wurde nicht eingegangen. Der Professor schrieb insbesondere: „Seit dem Expertentreffen von 2011 wurden keine Studiendaten von eindeutigem wissenschaftlichen Wert veröffentlicht. Die Afssaps unterstützt demgegenüber die Aufnahme einer klinischen Studie. […] Seien Sie versichert, dass die Afssaps Baclofen zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit grosses Interesse entgegen bringt, bei gleichzeitiger Wachsamkeit, um den Bedürfnissen der Patienten zu entsprechen und ihre bestmögliche Sicherheit zu gewährleisten.“

 

Konfrontiert mit dieser böswillig gefärbten Untätigkeit, die in beklagenswerter Weise all die zahlreichen Erfahrungsberichte von Patienten und Ärzten über die unzweifelhafte Wirksamkeit von Baclofen ignorierte, schrieb ich am 28 März einen sehr harschen Brief an das Ministerium und die Afssaps. Am selben Abend noch antwortete Professor Lechat und erklärte von einem rein formalen Standpunkt aus, dass der Afssaps die Hände gebunden seien, solange kein Pharmaunternehmen die Ausweitung der Bewilligung von Baclofen auf die Behandlung der Alkoholabhängigkeit beantrage. Meine Antwort darauf, datiert vom 30. März, in der ich bedauerte, dass die Afssaps letztlich nichts als «Ausführendes Organ im Dienst der Industrie » sei, bewegte schliesslich das Gesundheitsministerium und den Generalsekretär der Afssaps zu einer Reaktion. In der Folge unterzog letzterer den Text von 2011 umgehend einer Überarbeitung. Die ganze Korrespondenz wurde Schritt für Schritt auf  der Webseite http://www.atoute.org/n/forum/showthread.php?t=148714 veröffentlicht.

Es war also nötig gewesen, beiden Exponenten öffentlich ein Strafverfahren anzudrohen, um endlich die Reaktion zu erhalten, um die ich seit Juni 2011 gebeten hatte. Mehrere Presseberichte sprachen in der Folge bereits von der Entwicklung eines Skandals, schlimmer noch als derjenige rund um Médiator (vgl. Paris Match et Slate). http://www.parismatch.com/Actu/Sante/Alcoolisme-scandale-baclofene-Olivier-Ameisen-Afssaps-SFA-Lejoyeux-Granger-Lechat-156357

http://www.slate.fr/story/53301/baclofene-scandale-alcoolisme-medicament

 

Diese Umstände erklären, dass der neue Text der Afssaps vom 24. April 2012 Baclofen gegenüber viel positiver ausfiel. Er anerkennt dessen Wirksamkeit bei „gewissen Patienten“ (sic) und weist darauf hin, dass die Daten der Arzneimittelaufsicht eher beruhigend sind. Diese neue Beurteilung berücksichtigt die aktuellen wissenschaftlichen Daten viel besser und wäre bereits im Juni 2011 möglich gewesen, weil die in der Zwischenzeit zusätzlich erarbeiteten Daten die damals vorhandenen Ergebnisse nur bestätigten, auch wenn eine neue Publikation in Alcohol and Alcoholism den Vorwand für dieses Aggiornamento lieferte.

 

Im Grunde war bereits 2010 eine vergleichbare Beobachtungsstudie zu derjenigen von Ameisen und Beaurepaire verfügbar gewesen, und die Daten der Arzneimittelsicherheit für ein seit Jahrzenten gebräuchliches Produkt waren schon zuvor beruhigend gewesen, auch in hohen Dosierungen in der Neurologie.

 

Von der Presse unmittelbar aufgenommen als grünes Licht zur Anwendung von Baclofen, bringt dieser Richtungswechsel der Afssaps endlich gute Nachrichten für alle alkoholabhängigen Patienten, die eine Behandlung mit diesem aussergewöhnlich wirksamen Wirkstoff wünschen, und die sich viel zu oft noch mit Ablehnung von Seiten der Ärzte konfrontiert sehen. 

 

Die Afssaps präzisiert in ihrer Klarstellung, dass «die Behandlung der Alkoholabhängigkeit eine ganzheitliche Vorgehensweise durch Ärzte mit Erfahrung in der Begleitung von abhängigen Patienten impliziert». Dieser vage und gleichsam diplomatische Wortlaut (Welche medizinische Vorgehensweise ist nicht ganzheitlich? Welcher Arzt hält sich nach zehn Jahren Studium und einigen Jahren Praxis nicht für erfahren?) lassen einen grossen Interpretationsspielraum offen und erleichtern de facto eine grosszügige Verschreibung von Baclofen. Das ist ein Glück.

Danke, Afssaps!

Mit freundlicher Genehmigung von Bernard Granger.

 

Das Original in französischer Sprache finden Sie hier: http://www.books.fr/blog/la-saga-du-baclofne-3-le-vent-tourne/

 

 

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