Einführung zum Thema

Wunderdroge gegen Alkoholsucht?
Von Frauke Haß

Gibt es eine Wunderdroge gegen Alkoholismus? Die heftigen Reaktionen auf ein in den USA und Großbritannien im vergangenen Jahr erschienenes Buch geben zu denken und sorgen für Debatten unter Wissenschaftlern.

Anlass für die Diskussion ist das Werk Olivier Ameisens, Kardiologe und Professor der Medizin, der in „Das Ende meiner Sucht“ beschreibt, wie er seine jahrelange Alkoholabhängigkeit nach tausenden Sitzungen bei den Anonymen Alkoholikern, unzähligen Entgiftungen und therapeutischen Sitzungen, nach allen möglichen Versuchen mit Medikamenten schließlich überwand: Mit Hilfe von Baclofen.

Einem Wirkstoff, der zwar seit den frühen 60er Jahren eingesetzt wird, allerdings nicht in der Suchtmedizin, sondern von Neurologen, die damit die Muskelkrämpfe, etwa von Patienten mit Multipler Sklerose behandeln.

Ameisen geht davon aus, dass seine Angststörungen der eigentliche Grund für seine Alkoholsucht sind. Er begann Baclofen in niedriger Dosierung (30 Milligramm am Tag) zu nehmen und steigerte die Dosis allmählich und kontinuierlich: „Vom ersten Tag an ließen meine Muskelverspannungen und Angstgefühle nach und mein Schlaf wurde erholsamer. Wenn ich zusätzliche 20 bis 40 Milligramm einnahm, sobald ich den Wunsch nach Alkohol verspürte, erlebte ich nur rund eine Stunde intensives Craving (unkontrollierbares Verlangen nach Alkohol), dann wich es und kehrte nicht so schnell zurück.“

Als Ameisen bei 270 Milligramm am Tag angekommen war, stellte er bei einem Besuch in einer Hotelbar fest, dass er sein Ziel erreicht hatte: „Ich verspürte erstmals seit Beginn meiner Sucht kein Verlangen nach Alkohol.“

Warum hilft ein Muskelentspannungspräparat einem Alkoholiker? Genau beantworten kann das derzeit noch keiner. Zunächst müsste in einer wissenschaftlichen Studie überhaupt erst einmal herausgefunden werden, ob Baclofen tatsächlich vielen gegen das Craving hilft. Zu erforschen, warum und wie es das tut, wäre dann ein zweiter Schritt.

Doch für diese Studien gibt es noch keine Finanzierung. Baclofen wirkt im Neurotransmittersystem, also dem Kommunikationssystem der Nervenzellen, im Gehirn.

„Das muss untersucht werden“

Mehr Medikamente zu haben, die die Rückfallquote bei Alkoholkranken mindern, hält Falk Kiefer, Professor für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, „für absolut wünschenswert“. Das Symptom Craving zu bekämpfen, „verfolgen wir seit vielen Jahren“.

Doch auf die bisher eingesetzten Wirkstoffe Naltrexon und Acamprosat, von denen nur letzteres in Deutschland zugelassen ist, „sprechen jeweils nur 20 bis 30 Prozent der Patienten an; letztlich wirken sie nicht ausreichend gut“. Deshalb arbeite die Pharmaindustrie längst an weiteren Substanzen, von denen einige vielversprechend seien. Möglicherweise könne man Baclofen hier einreihen. „Das muss untersucht werden.“

Auf Ameisen reagiert Kiefer zurückhaltend: „Da muss man vorsichtig sein. Es kann sein, dass er mit Baclofen gute Erfahrungen gemacht hat, aber das heißt nicht, dass es anderen auch so geht. So ein Fallbericht kann aber ein Startpunkt für weitere Untersuchungen und klinische Studien sein.“ Kiefer berichtet im Fachmagazin CNS Drugs von mehreren Studien, die zeigten, dass Alkoholabhängige, die Baclofen in niedriger Dosis (30 Milligramm am Tag) nahmen, weniger tranken und ihre Rückfallwahrscheinlichkeit verringerten. Auch im Tierversuch erwies sich Baclofen Kiefer zufolge als wirksam. „Aber jetzt brauchen wir eine vernünftige Datenlage auf Grundlage kontrollierter klinischer Studien.““Kein ökonomischer Anreiz“

Sein Kollege Jakob Hein von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, hält Baclofen für „vielversprechend: Es gibt interessante Fallberichte über den Einzelfall Ameisens hinaus.“ In der Tat berichtet Ameisen selbst von mehr als 300 erfolgreich mit Baclofen behandelten Patienten weltweit.

Doch auch Hein beklagt, dass es noch keine Studie gibt. „Das legt den Finger auf die Wunde des Systems in Deutschland: Solche Studien kosten viele Millionen Euro.“ Doch weil das Patent von Baclofen abgelaufen ist, gebe es keinen ökonomischen Anreiz für die Hersteller, die Zulassung für die Indikation Alkoholbehandlung zu beantragen. „Ein Beispiel: Wenn wir herausfänden, dass Aspirin krebsprophylaktisch wirkt, hätten wir ein Problem, das zu beweisen.“

Hein nennt Ameisens Buch „interessant und gut. Es macht politisch Furore. Wissenschaftlich ist es nicht so stark belastbar“. Sollte sich erweisen, dass Baclofen bei Alkoholsucht erfolgreich ist, wäre das zu begrüßen. „Wir wissen längst, dass man Alkoholsucht und andere Abhängigkeit individuell bearbeiten muss: Für manche sind Selbsthilfegruppen extrem erfolgreich, für manche kommt das gar nicht in Frage.

Für eine kleine Gruppe von Menschen ist das umstrittene kontrollierte Trinken der richtige Weg. Andere lehnen es ab, Psychopharmaka zu nehmen. Deshalb müssen wir immer schauen, was es für Möglichkeiten gibt und dann sehen, was passt zum einzelnen Patienten.“

Patienten lehnen Medikamente ab

Baclofen aber als „Wunderdroge“ zu betrachten, „sehe ich mit maximaler Skepsis“, sagt Hein. „Einfach nur eine Tablette verschreiben, das geht nicht, etwas mehr Therapie muss schon sein. Selbst wenn es keinen Grund mehr für die Sucht gibt, haben doch die Jahre der Sucht etwas mit dem Patienten gemacht. Das sollte man psychologisch auf jeden Fall bearbeiten.“

Diese Frage stelle sich oft aber gar nicht, sagt Professor Christian Haasen, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg. Zwar hält er es „für denkbar, dass Baclofen den Suchtdruck, das sogenannte Craving, bei Alkoholpatienten mindern kann“. Hauptproblem sei aber, dass die meisten Patienten es ablehnten, ein Medikament dagegen einzunehmen. Ein Grund sei, „dass die Selbsthilfegruppen total dagegen sind“.

Außerdem sei Baclofen offiziell derzeit wegen der fehlenden Zulassung nicht einsetzbar. „Das kann man nur im Einzelfall tun.“ Dasselbe gelte für Naltrexon. Dabei könnte letzteres nach den Erfahrungen in den USA zehn Prozent der Rückfälle verhindern: „Gesellschaftspolitisch ist das angesichts von zehn Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum in Deutschland und zwei Millionen Abhängigen schon interessant. Aber die Industrie hat kein Interesse daran.“ Haasen hielte es deshalb für überlegenswert, dass die Politik Hersteller „per Erlass zwingt, die Zulassung für bestimmte Indikationen zu beantragen“.

Für sinnvoll hielte es auch Haasen, verschiedene Anticraving-Medikamente zu haben. Auch weil die Tendenz in der Suchtbehandlung immer mehr dahin gehe, so früh wie möglich einzugreifen: „Es könnte ja sein, dass diese Medikamente den Suchtdruck schon bei Leuten reduzieren, die noch gar nicht abhängig sind.“ Als Kliniker votiere er dennoch immer für das sogenannte Drei-Säulenmodell aus Selbsthilfegruppen, Langzeittherapie und medikamentöser Behandlung.

0 Kommentare zu “Einführung zum Thema

  1. Mit Spannung lese ich hier die Baclufen Debatte. Was mir Sorgen macht ist der Umstand, dass ich sehr viele Alkoholiker kenne, die den Wunsch nach kontrlliertem Trinken in sich tragen. Sie möchten „dazu gehören“ und das macht es ihnen so schwer (auch mir, denn ich bin gleichsam davon betroffen).
    Dr. Ameisen beschreibt ja, dass er hin und wieder ein Glas Sekt trinkt, er es folglich kontrollieren kann. Mein Selbstversuch mit Baclofen ging absolut nach hinten los, denn ich kroch im Wahn durch meine eiskalte Stube, bis die verherende Wirkung am darauf folgenden Tag nachließ. Von einer Unterdrückung des Suchtverlangens keine Spur, ich musste schnellstens nachtanken, um überhaupt der Lage Herr zu werden.Hinzu kamen Sehstörungen, die in den Nebenwirkungen beschrieben waren
    Ich bedaure das sehr.

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