Yoga vs. Vodka

Von Jean Paul Lascaux

Im Text hieß es, die Entspannung sei gleich, egal ob Yoga oder Vodka. Das ist natürlich Unsinn. Alkohol ist ein Nervengift und legt Nerven lahm. Ein Nervenarzt erzählte mir, dass dies der Grund dafür sei, dass Alkoholkranke so zerknitterte Gesichter hätten. Normalerweise wechsle der Mensch im Schlaf andauernd seine Position. Unter Alkoholeinfluss funktioniere das aber nicht mehr. Die Folge davon sei, dass Nerven eingequetscht werden, weil zu lange in einer Position verharrt werde. Und das wiederum führe zu den Knitterfalten im Gesicht, zu Gehstörungen, fahrigen Bewegungen der Hände etc. Also sei Yoga Entspannung während Alkohol zu teilweiser Lähmung führe. Nach einiger Zeit stelle sich das Nervensystem wieder auf Normal zurück. Bis es das eines Tages nicht mehr tue. Dann habe man einen dauerhaft bleibenden Zustand. Zu den Bildern

Für Unbeteiligte mögen diese Bilder ja lustig sein, Betroffenen bleibt bei diesen Bilder das Lachen allerdings im Halse stecken.

Interview mit Olivier Ameisen

„Frei vom Verlangen nach Alkohol“
Der Kardiologe Olivier Ameisen preist das neurologische Medikament Baclofen als Mittel gegen Alkoholismus an. Leider gibt es noch keine Studien, die das belegen.

Monsieur Ameisen, sind Sie Alkoholiker?
Ich war ein hoffnungsloser Alkoholiker, aber ich bin es zum Glück seit bald sechs Jahren nicht mehr. Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, die bei mir erfolgreich behandelt wird – wie bei anderen Bluthochdruck.

Sie haben 2004 mit Hilfe des Medikaments Baclofen mit dem Trinken aufgehört und nehmen es weiterhin?
Ich hatte alle verfügbaren Therapien ausprobiert – erfolglos. Dann stieß ich auf erste wissenschaftliche Hinweise, dass das in der Neurologie eingesetzte Medikament Baclofen auch gegen Sucht hilft. Inzwischen nehme ich Baclofen, weil es mir gegen meine Angststörung hilft. Und es sorgt dafür, dass ich keinen Rückfall bekomme. Das ist unter Baclofen-Einfluss unmöglich.

Das klingt ja so, als sei Baclofen eine Art Substitut für Alkohol?
Nein, ein Substitut ersetzt immer nur eine bestimmte Droge. Baclofen aber hilft, weil es die Sucht an sich blockiert.

Bewiesen ist das ja noch nicht…
Aber die Hinweise aus der Praxis mehren sich. Dr. Fred Levin von der Northwestern University in Chicago hat 14 Patienten behandelt und erklärt sie sämtlich für 100 Prozent geheilt. Andere Ärzte, wie Pascal Gache von der Universität Genf melden mir eher 90 Prozent. Das ist bei einer offiziell als unbehandelbar geltenden Krankheit bemerkenswert.

Müsste nicht erst mal in einer klinischen Studie bewiesen werden, dass Baclofen wirklich hilft?
Ich weiß von keinem einzigen Patienten, bei dem Baclofen nicht gewirkt hätte, außer jenen, die gar nicht aufhören wollten und nur von Angehörigen zur Therapie gedrängt wurden.

Aber Dr. Ameisen, Sie als Professor der Medizin und angesehener Kardiologe wissen doch, nach welchen Regeln und ethischen Grundsätzen Wissenschaft funktioniert
Selbstverständlich. Ich bin schließlich derjenige, der eine große unabhängige Studie fordert. Und das tue ich schon seit meinem ersten Aufsatz von 2004. Das Problem ist, dass Baclofen nicht mehr dem Patentschutz unterliegt. Die Pharmaindustrie hat deshalb kein Interesse daran, in die Forschung zu investieren. Seit 2004 bis zum Erscheinen meines Buchs 2008 wurden gerade mal zwölf Alkohol-Patienten weltweit mit Baclofen behandelt – zehn in Genf und zwei in Paris. Unter dem öffentlichen Druck, seit das Buch heraus kam, sind es nun mehr als 300. Und endlich werden nun auch Studien vorbereitet. Eine vom Herausgeber der medizinischen Fachzeitschrift Alcohol and Alcoholism, Jonathan Chick, in Edinburgh und eine in London – beide für Alkohol.

Es wird jetzt also Studien geben? Das ist eine neue Entwicklung.
Ja außer den beiden genannten eine an der University von Pennsylvania, die Baclofen bei Kokain-Abhängigen testet, und drei, die es mit Blick auf Nikotin prüfen.

Deutsche Suchtexperten halten Baclofen für vielversprechend, sagen aber, vor dem Einsatz brauchen wir eine Studie dazu
Ich will die Studie ja auch, aber wenn ein Alkoholkranker mit tödlicher Leberzirrhose zum Arzt geht und nach Baclofen verlangt, weil keine andere Behandlung ihm geholfen hat – ist es dann richtig zu sagen: Ich lehne das ab, so lange es keine Studie gibt? Der Patient könnte den Arzt verklagen. Es gibt keinen medizinischen Grund, einem verzweifelten Patienten eine Arznei zu verweigern, die harmlos ist, und von der Neurologen 300 Milligramm täglich verschreiben. Außerdem: Jedermann benutzt Aspirin gegen Kopfschmerz. Meines Wissens gab es nie eine klinische Studie dazu. Trotzdem benutzt man es. Zum medizinischen Handwerk gehört es schließlich auch, gesunden Menschenverstand einzusetzen.

Aber Sie wissen natürlich: Wenn ein Arzt Baclofen verschreibt, ohne dass es zugelassen ist, und dem Patienten passiert etwas, kann er auch verklagt werden.
Baclofen ist ja zugelassen – als Standard-Arznei gegen Muskelkrämpfe. Wenn ein Arzt überzeugt ist, dass ein zugelassenes Medikament auch gegen ein anderes Krankheitsbild hilft, kann er es jederzeit verschreiben. In den USA werden 25 Prozent der Arzneien auf diese Art – off-label – verschrieben, in der Psychiatrie sogar 60 Prozent. Das ist Routine. Als Arzt sollte man verschreiben, was im besten Sinne des Patienten ist.

Aber wer kann sagen, ob Baclofen wirklich sicher ist?
Baclofen gilt als sehr sicher. Schließlich ist es seit vier Jahrzehnten auf dem Markt. Es ist sicherer als Aspirin. Es gibt Patienten, die erfolglos versuchten, sich mit Baclofen umzubringen, mit 2,5 Gramm – ein Vielfaches der Dosis von bis zu 400 Milligramm täglich, die man als Abhängiger nimmt. Wenn man das gleiche mit Paracetamol oder Aspirin versuchen würde, wäre man tot.

Das Ergebnis der Studien könnte ja auch sein, was manche Suchtexperten hier vermuten, dass Baclofen nicht allen Alkoholabhängigen hilft, sondern nur einer bestimmten Gruppe – jenen mit Angststörungen. Wäre das akzeptabel für Sie?
Es wäre zumindest ein Anfang. Ich habe während meiner jahrelangen Therapien viele Alkoholiker kennen gelernt, die aus ähnlichen Gründen zur Flasche griffen. Ihnen zu helfen wäre ein großer Gewinn.

Ist Baclofen eine Wunderdroge?
Nein, ich glaube nicht an Wunderdrogen. Wissenschaft hat mit Wundern nichts zu tun. Aber wie beurteilt man ein Medikament? Danach, wie sich sein Einsatz über einen Zeitraum von zehn Jahren auf die Sterblichkeit auswirkt. Beispiel Aids: Vor zehn Jahren noch war die Todesrate bei 100 Prozent, heute stirbt dank neuer Medikamente niemand mehr an Aids. Medikamente wie Naltrexon und Acamprosat, die den Patienten gegen die Gier nach Alkohol, das sogenannte Craving, helfen sollen, haben an der Sterblichkeit in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert. Anders Baclofen: Es gibt dutzende Beispiele von Alkoholkranken, die innerhalb weniger Wochen melden konnten: „Es ist vorbei!“ Einfach so. Baclofen funktioniert nur dann nicht, wenn man es nicht benutzt.

Ob Baclofen an der Sterblichkeit etwas ändern wird, müssen wir erstmal abwarten. Manche sagen, Alkoholsucht zu bekämpfen ist eine Frage der Willenskraft.
Ja, es gibt Menschen, die schaffen es, aufzuhören, dank ihres Willens. Wunderbar, wenn sie es können. Ich kenne aber auch Leute, die 15 Jahre abstinent waren und 15 Jahre lang verzweifelt gegen das Craving ankämpften. Jetzt nehmen sie Baclofen, und ihr Leben ist endlich lebenswert. Das ist es, was es tut: Es befreit Sie von einem unerträglichen Druck. Der Grund, Drogen zu nehmen, fällt weg.

Interview: Frauke Haß

Einführung zum Thema

Wunderdroge gegen Alkoholsucht?
Von Frauke Haß

Gibt es eine Wunderdroge gegen Alkoholismus? Die heftigen Reaktionen auf ein in den USA und Großbritannien im vergangenen Jahr erschienenes Buch geben zu denken und sorgen für Debatten unter Wissenschaftlern.

Anlass für die Diskussion ist das Werk Olivier Ameisens, Kardiologe und Professor der Medizin, der in „Das Ende meiner Sucht“ beschreibt, wie er seine jahrelange Alkoholabhängigkeit nach tausenden Sitzungen bei den Anonymen Alkoholikern, unzähligen Entgiftungen und therapeutischen Sitzungen, nach allen möglichen Versuchen mit Medikamenten schließlich überwand: Mit Hilfe von Baclofen.

Einem Wirkstoff, der zwar seit den frühen 60er Jahren eingesetzt wird, allerdings nicht in der Suchtmedizin, sondern von Neurologen, die damit die Muskelkrämpfe, etwa von Patienten mit Multipler Sklerose behandeln.

Ameisen geht davon aus, dass seine Angststörungen der eigentliche Grund für seine Alkoholsucht sind. Er begann Baclofen in niedriger Dosierung (30 Milligramm am Tag) zu nehmen und steigerte die Dosis allmählich und kontinuierlich: „Vom ersten Tag an ließen meine Muskelverspannungen und Angstgefühle nach und mein Schlaf wurde erholsamer. Wenn ich zusätzliche 20 bis 40 Milligramm einnahm, sobald ich den Wunsch nach Alkohol verspürte, erlebte ich nur rund eine Stunde intensives Craving (unkontrollierbares Verlangen nach Alkohol), dann wich es und kehrte nicht so schnell zurück.“

Als Ameisen bei 270 Milligramm am Tag angekommen war, stellte er bei einem Besuch in einer Hotelbar fest, dass er sein Ziel erreicht hatte: „Ich verspürte erstmals seit Beginn meiner Sucht kein Verlangen nach Alkohol.“

Warum hilft ein Muskelentspannungspräparat einem Alkoholiker? Genau beantworten kann das derzeit noch keiner. Zunächst müsste in einer wissenschaftlichen Studie überhaupt erst einmal herausgefunden werden, ob Baclofen tatsächlich vielen gegen das Craving hilft. Zu erforschen, warum und wie es das tut, wäre dann ein zweiter Schritt.

Doch für diese Studien gibt es noch keine Finanzierung. Baclofen wirkt im Neurotransmittersystem, also dem Kommunikationssystem der Nervenzellen, im Gehirn.

„Das muss untersucht werden“

Mehr Medikamente zu haben, die die Rückfallquote bei Alkoholkranken mindern, hält Falk Kiefer, Professor für Suchtforschung am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, „für absolut wünschenswert“. Das Symptom Craving zu bekämpfen, „verfolgen wir seit vielen Jahren“.

Doch auf die bisher eingesetzten Wirkstoffe Naltrexon und Acamprosat, von denen nur letzteres in Deutschland zugelassen ist, „sprechen jeweils nur 20 bis 30 Prozent der Patienten an; letztlich wirken sie nicht ausreichend gut“. Deshalb arbeite die Pharmaindustrie längst an weiteren Substanzen, von denen einige vielversprechend seien. Möglicherweise könne man Baclofen hier einreihen. „Das muss untersucht werden.“

Auf Ameisen reagiert Kiefer zurückhaltend: „Da muss man vorsichtig sein. Es kann sein, dass er mit Baclofen gute Erfahrungen gemacht hat, aber das heißt nicht, dass es anderen auch so geht. So ein Fallbericht kann aber ein Startpunkt für weitere Untersuchungen und klinische Studien sein.“ Kiefer berichtet im Fachmagazin CNS Drugs von mehreren Studien, die zeigten, dass Alkoholabhängige, die Baclofen in niedriger Dosis (30 Milligramm am Tag) nahmen, weniger tranken und ihre Rückfallwahrscheinlichkeit verringerten. Auch im Tierversuch erwies sich Baclofen Kiefer zufolge als wirksam. „Aber jetzt brauchen wir eine vernünftige Datenlage auf Grundlage kontrollierter klinischer Studien.““Kein ökonomischer Anreiz“

Sein Kollege Jakob Hein von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, hält Baclofen für „vielversprechend: Es gibt interessante Fallberichte über den Einzelfall Ameisens hinaus.“ In der Tat berichtet Ameisen selbst von mehr als 300 erfolgreich mit Baclofen behandelten Patienten weltweit.

Doch auch Hein beklagt, dass es noch keine Studie gibt. „Das legt den Finger auf die Wunde des Systems in Deutschland: Solche Studien kosten viele Millionen Euro.“ Doch weil das Patent von Baclofen abgelaufen ist, gebe es keinen ökonomischen Anreiz für die Hersteller, die Zulassung für die Indikation Alkoholbehandlung zu beantragen. „Ein Beispiel: Wenn wir herausfänden, dass Aspirin krebsprophylaktisch wirkt, hätten wir ein Problem, das zu beweisen.“

Hein nennt Ameisens Buch „interessant und gut. Es macht politisch Furore. Wissenschaftlich ist es nicht so stark belastbar“. Sollte sich erweisen, dass Baclofen bei Alkoholsucht erfolgreich ist, wäre das zu begrüßen. „Wir wissen längst, dass man Alkoholsucht und andere Abhängigkeit individuell bearbeiten muss: Für manche sind Selbsthilfegruppen extrem erfolgreich, für manche kommt das gar nicht in Frage.

Für eine kleine Gruppe von Menschen ist das umstrittene kontrollierte Trinken der richtige Weg. Andere lehnen es ab, Psychopharmaka zu nehmen. Deshalb müssen wir immer schauen, was es für Möglichkeiten gibt und dann sehen, was passt zum einzelnen Patienten.“

Patienten lehnen Medikamente ab

Baclofen aber als „Wunderdroge“ zu betrachten, „sehe ich mit maximaler Skepsis“, sagt Hein. „Einfach nur eine Tablette verschreiben, das geht nicht, etwas mehr Therapie muss schon sein. Selbst wenn es keinen Grund mehr für die Sucht gibt, haben doch die Jahre der Sucht etwas mit dem Patienten gemacht. Das sollte man psychologisch auf jeden Fall bearbeiten.“

Diese Frage stelle sich oft aber gar nicht, sagt Professor Christian Haasen, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg. Zwar hält er es „für denkbar, dass Baclofen den Suchtdruck, das sogenannte Craving, bei Alkoholpatienten mindern kann“. Hauptproblem sei aber, dass die meisten Patienten es ablehnten, ein Medikament dagegen einzunehmen. Ein Grund sei, „dass die Selbsthilfegruppen total dagegen sind“.

Außerdem sei Baclofen offiziell derzeit wegen der fehlenden Zulassung nicht einsetzbar. „Das kann man nur im Einzelfall tun.“ Dasselbe gelte für Naltrexon. Dabei könnte letzteres nach den Erfahrungen in den USA zehn Prozent der Rückfälle verhindern: „Gesellschaftspolitisch ist das angesichts von zehn Millionen Menschen mit riskantem Alkoholkonsum in Deutschland und zwei Millionen Abhängigen schon interessant. Aber die Industrie hat kein Interesse daran.“ Haasen hielte es deshalb für überlegenswert, dass die Politik Hersteller „per Erlass zwingt, die Zulassung für bestimmte Indikationen zu beantragen“.

Für sinnvoll hielte es auch Haasen, verschiedene Anticraving-Medikamente zu haben. Auch weil die Tendenz in der Suchtbehandlung immer mehr dahin gehe, so früh wie möglich einzugreifen: „Es könnte ja sein, dass diese Medikamente den Suchtdruck schon bei Leuten reduzieren, die noch gar nicht abhängig sind.“ Als Kliniker votiere er dennoch immer für das sogenannte Drei-Säulenmodell aus Selbsthilfegruppen, Langzeittherapie und medikamentöser Behandlung.