Die Baclofen Saga Teil 6: Das Vermächtnis von Olivier Ameisen

Die RTU ist ein spezielles französisches Instrument, das den Gesundheitsbehörden erlaubt, die Zulassung für ein Medikament in einer Indikation zu erteilen, auf die der vermarktende Pharmabetrieb keinen Anspruch erhoben hat. Wie die Geschichte von Baclofen zeigt, blieb sowohl Behörden wie Ärzten nur die Off-label-Verschreibung auf eigenes Risiko übrig. Auch wenn ein Wirkstoff einen therapeutischen Nutzen aufwies, und in einer anderen Indikation, die vom Pharmaunternehmen aber nicht gefördert wurde.

Das französische Gesetz ermöglicht seit Ende 2012 durch Einführung der RTU ein Umgehen dieser einseitigen Bestimmungsmacht der Industrie über die Indikation ihrer Produkte. Baclofen ist das erste Medikament, das von dieser Maßnahme profitiert. Die Einführung der RTU wurde nötig, weil sich pharmazeutische Firmen in ihren Entscheidungen rund um Zulassungsanträge leider nur von marktwirtschaftlichen, statt auch von ethischen Überlegungen leiten lassen. Unerheblich, ob eine Behandlung einer grossen Zahl von Patienten helfen könnte; wenn es nicht genügend Profit abwirft, wird es nicht entwickelt werden. Mit der RTU können solche wenig ehrenwerten Praktiken teilweise korrigiert werden.

Seit Prof. D. Maraninchi auf die positiven Auswirkungen von Baclofen bei Alkoholismus aufmerksam gemacht worden war, blieb er wachsam, besorgt in erster Linie um das Wohl der Patienten. Er reagierte mehr als Mediziner denn als Technokrat, bedacht auf Absicherung. Er spielte eine massgebliche Rolle in der Geschichte von Baclofen, indem er dessen Zugänglichkeit und Anerkennung zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit ermöglichte.

In seinem zusammenfassenden Redebeitrag vom 3. Juni 2013 rief der ANSM-Direktor die noch bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten bezüglich Wirksamkeit und Toleranz von Baclofen in Erinnerung, unterstrich aber gleichzeitig, dass die „Vermutung“ der Wirksamkeit ausreichend sei, um eine RTU für diese Behandlung auszusprechen, die er unumwunden als „Entdeckung“ bezeichnete. Er stellte das „wirkliche Leben“ dem aufwändigen, ordnungsgemäßen Genehmigungsverfahren gegenüber. Er betonte, dass alle Erkenntnisse berücksichtigt werden müssten und man vom „Dogma der doppelblinden, placebokontrollierten Studie“ abkommen müsse. … weiter auf Seite 4 

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