Finanzielle Interessen verhindern die Verwendung von Baclofen.

mehr um die besten Behandlungsmethoden, sondern um Maximierung von Profit. Das hysterische Festklammern an längst überholten, meist wirkungslosen Medikamenten gehört genauso dazu, wie das Beharren auf überkommenen Therapieformen. Schließlich ist ein Alkoholiker für einen Suchtmediziner – auch wenn das nicht nett klingen sollte – eine lebenslange Rente. Leider ist es keine Geschichte, auch kein Roman, es ist die real existierende Wirklichkeit. Der nachfolgende Text ist einer aktuellen Rede von Dr. Renaud de Beaurepaire entnommen. Weitere Übersetzungen werden folgen … 

 

Ich traf Olivier Ameisen im Jahr 2006 bei gemeinsamen Freunden. Ich hatte zu der Zeit als Arzt und Leiter einer Psychiatrie in Villejuif auch Alkoholiker in Behandlung. Ich gab einigen von ihnen ohne grossen Enthusiasmus Baclofen. Nach relativ schneller Erhöhung der Dosis berichteten die Patienten, Alkohol sagt mir nichts mehr. Wenn ich ihnen ein Glas hinstellte und einschenkte sagten sie: „das lässt mich völlig kalt“. 

 

Ich muss sagen, ich wusste damals nicht wie es weitergehen sollte. Olivier sagte zu mir, ich werde ein Buch schreiben. Es erschien im Oktober 2008 mit dem Titel „Das letzte Glas“. Dieses Buch war ein absolut aussergewöhnlicher Erfolg und es folgten mehrere Auflagen in der Grössenordnung von Zehntausenden von Exemplaren. Anmerkung des Verfassers: Im Herbst 2009 erschien es in der deutschen Übersetzung mit dem Titel „Das Ende meiner Sucht“.

 

Das Buch hatte Auswirkungen auf mich. Nachdem es erschienen war, erhielt ich jeden Tag Dutzende Anrufe von Menschen, die das Buch gelesen hatten und die dieses Medikament von mir wollten. Es war kompliziert das zu organisieren, ich eröffnete also eine Baclofen-Sprechstunde jeweils am Mittwoch. Zu Beginn sagte ich mir, wir werden sehen, ich versuche das mal einige Wochen. Wenn es nicht funktioniert, höre ich auf. Aber es funktionierte extrem gut, 65 bis 75% der Patienten wurden innerhalb einiger Wochen oder Monate gesund und erreichten die von Ameisen beschriebene Gleichgültigkeit gegenüber Alkohol. Sie sagten alle dasselbe: „eines Tages, bei einer bestimmten Dosis, schenkte ich mir ein Glas ein und – es interessierte mich nicht mehr“. 

 

Wir blieben im Austausch und er schickte mir Patienten, die ihn um Baclofen baten und wir arbeiteten weiter zusammen, begannen auch zusammen zu schreiben. 2010 wurde eine erste gemeinsame Publikation über 60 Fälle veröffentlicht, die durch Baclofen geheilt wurden. Das Ausbleiben von Reaktionen von Seiten derjenigen, die in der Lage gewesen wären, Studien nach allen Regeln der Kunst in Gang zu setzen, war unerklärbar. Wir fragten uns, warum dies nicht geschah, wir hatten so viele Kapazitäten kontaktiert und unsere Behandlungsergebnisse mit Baclofen vorgestellt – nichts. Olivier nennt es in seinem Buch – die ohrenbetäubende Stille – ein Oxymoron.

 

Wir nahmen wahr, dass Baclofen von Seiten der Pharma-Firmen nicht gern gesehen wurde. Sie entwickeln Medikamente gegen Alkoholismus und das kostet extrem viel Geld. Die Grössenordnung bewegt sich im Bereich von einigen hundert Millionen bis hin zu einer Milliarde Euro. Pharmafirmen entwickeln Medikamente mit der Idee im Kopf, dass es ohnehin keine Behandlung gegen Alkoholismus gibt. Neue Arzneien werden auf den Markt gebracht und der Verkauf forciert, Ärzte verschreiben sie, man wartet ab aber keines ist wirklich wirksam. Und dann taucht sehr unwillkommen, dieses 40 Jahre alte Medikament auf, das drei Euro die Schachtel kostet und extrem gut wirkt. 

 

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die zuständigen Stellen und Wissenschaftler an den Universitäten, denen wir Baclofen anvertraut hatten, versucht haben zu vertuschen. Die Vereinigung französischer Alkoholspezialisten verschickte Rundbriefe an Ärzte mit dem Verbot, Baclofen anzuwenden. 

 

Sogar Repressalien wurden angewandt, Ärzte die mit Baclofen behandelten, waren Drohungen ausgesetzt. Mir kamen Fälle von Ärzten zu Ohren, die aus dem Verband ausgeschlossen wurden, weil sie Baclofen verschrieben. Medizinstudenten wurde untersagt, in ihren Arbeiten Baclofen zu zitieren usw. Kurz: die Entscheidungsträger hatten beschlossen, Baclofen totzuschweigen.

 

Nicht zu vergessen die medizinischen Institutionen, die sich mit Alkoholismus beschäftigen, die Kliniken, Therapie-Zentren usw. Damit sind unglaublich hohe Kosten verbunden, man muss wissen: ein Alkoholiker bedeutet für einen Suchtmediziner – auch wenn das nicht nett klingen sollte – eine lebenslange Rente. So lange er lebt, wird er medizinische Betreuung brauchen. Die teuren Suchtbehandlungszentren sind voll von „unheilbaren“ Alkoholikern. Wenn man also ein Medikament findet, das den Alkoholismus heilen könnte, wäre das für all‘ diese Institutionen finanziell äusserst schmerzhaft. 

 

Nun, wir fühlten uns entmutigt. Wir verwandten unsere ganze Energie auf die Heilung von Patienten, die zuständigen Stellen verweigerten die Übernahme ihrer Verantwortung gegenüber den Patienten und finanzielle Interessen verhinderten die Verwendung von Baclofen. Es schien aussichtslos, wir waren ziemlich deprimiert und auch etwas ausgebrannt.

 

Dass wir dennoch gesiegt haben – wie kam das? Wir siegten, indem wir Vereine gründeten. Da gab es in unseren Reihen Bernard Joussaume, einen Allgemeinmediziner aus Bandol, der Baclofen bereits verschrieb und der zudem über langjährige Erfahrung in der Verbandsarbeit verfügte. Wir gründeten „AUBES“ mit der Absicht, eine schlagkräftige Vereinigung zu werden, nicht mehr zu weichen, sondern zu kämpfen. Wir lernten von anderen, z.B. von AIDS- oder Alkoholiker-Vereinigungen. Einer von uns, Pierre Leclerc, gründete das Kollektiv „7 ans, 100.000 morts“. Das bedeutet, Ameisen hatte vor sieben Jahren eine Behandlungsmethode gegen Alkoholismus entdeckt. Hätte man es seit 2005 angewendet, hätte es in Frankreich 100.000 Tote weniger gegeben. Das Kollektiv wandte sich mit Briefen an alle politischen Entscheidungsträger und erhielt beschämend wenig Rückmeldungen von Premier- und anderen Ministern. Einige jedoch – Bernard Debré, Didier Sicard, Philippe Even – antworteten sehr positiv: „Kämpft weiter, ihr habt Recht, macht alles, was ihr könnt!“ Ansonsten erreichten uns nur hohle Phrasen wie „Nun, man wird sehen, warten wir ab.“ Es zeigte sich die Macht der Industrie über die Entscheidungsträger.

 

Wir haben dennoch gesiegt. Dadurch, dass wir für grosses Aufsehen sorgten. Wir baten die Ärzte, Baclofen zu testen, das war alles was wir verlangten. Man weiss, dass Abhängigkeit eine Krankheit ist, eine sehr gut nachgewiesene Krankheit. Der zunehmende Konsum verändert erwiesenermassen den Hirnstoffwechsel so, dass das Bedürfnis zu trinken zwanghaft wird. Es gibt keine Wahlfreiheit mehr. Wie Olivier Ameisen es ausführlich in seinem Buch „Das Ende meiner Sucht“ beschreibt, sagt sich der vom Alkohol abhängige Mensch jeden Morgen: Schluss jetzt, ich höre auf, das war das letzte Mal, das letzte Glas! Aber es hört nie auf, weil wie bei jedem zwanghaften Verhalten der Drang stärker ist als die Vernunft. Es ist ein Zwang. Alkoholismus ist eine Krankheit, weil er eine Zwangsstörung wie z. B. der Waschzwang ist. Der Wille aufzuhören kann noch so stark sein – erwiesenermassen werden 90% rückfällig.

 

Um die Krankheit zu behandeln, entschieden sich immer mehr Ärzte, Baclofen zu verschreiben. Ich erhielt immer mehr Rückmeldungen in der Art: „Ich hatte nicht geglaubt, was du sagtest. Dann habe ich es verschrieben und es ist unglaublich, absolut aussergewöhnlich!“ Wir sagten den Ärzten immer das gleiche: Probiert es aus, macht den Versuch! Und mehr und mehr Ärzte taten das. Heute braucht die Verschreibung von Baclofen keine Bewilligung mehr, von zögerlichen Instanzen im Gesundheitswesen, die keine Entscheidung treffen wollten. Sie wissen heute, dass es ein einzigartiges Medikament gegen Alkoholismus, wie auch gegen Depressionen und Ängste ist.

 

Heute wird Baclofen verschrieben, auch in der Psychiatrie hat man doppelt verblindete Studien durchgeführt, in denen einer Hälfte der Patienten Baclofen gegeben wurde – die andere Hälfte bekam ein Placebo. 2009 gab es 200 Ärzte, die Baclofen verschrieben, 2010 waren es 2.000, 2011 und 2012 stieg die Zahl exponentiell an. Heute sind es mehrere Zehntausend Ärzte in Frankreich und mehr als 100.000 Patienten die mit Baclofen – mit oder ohne Bewilligung – behandelt werden. Unzählige Berichte im Internet zeigen, dass es extrem gut wirkt. 

 

Die Baclofen-Gegner hören nicht auf, uns Hindernisse in den Weg zu legen, sie versuchen Baclofen zu diabolisieren. Es stimmt, es gibt Nebenwirkungen aber sie sind bei richtiger Behandlung nicht schwerwiegend, wenn die Patienten aufmerksam begleitet werden und gute Bedingungen geschaffen werden. 

 

Olivier Ameisen ist im vergangenen Juli gestorben. Er wäre sehr glücklich gewesen, heute an diesem Punkt zu stehen und zu hören, dass die Schlacht gewonnen ist. Und ich glaube, dass er an Erschöpfung gestorben ist. Er kämpfte in ausserordentlich mutiger Weise. Eines Tages versagte das Herz, bei ihm als Kardiologen. Das ist der traurige Teil der Geschichte. 

 

Ich danke Ihnen, ich bedanke mich für Olivier.

 

 

Dieser Beitrag basiert auf einer Übersetzung die von mir stark gekürzt wurde.

Ich habe nicht verändert, nur gekürzt, der ursprüngliche Textumfang betrug mehr als das Dreifache. Ursprünglich wollte ich das Original-Video mit deutschen Untertiteln versehen, wie ich es in der Vergangenheit mehrfach gemacht habe. In diesem Fall habe ich aus Gründen des enormen Textumfangs darauf verzichtet.  

 

An dieser Stelle mein herzlicher Dank an ein Mitglied des Forums, das sich die Mühe dieser Übersetzung vom Video gemacht hat. Es ist ungleich schwieriger und aufwändiger, das gesprochene Wort zu übersetzen, als nach Manuskript zu arbeiten.
Merci beaucoup an die Freunde in Frankreich, besonders an Marion (Aubes) und Reinaud de Beaurepaire. 

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